Alkoholfreier Wein liegt voll im Trend, und Alex Gottschalk ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Im Interview spricht der Weinexperte über die Faszination alkoholfreier Weine, aktuelle Entwicklungen und sein neues Seminar bei Miomente.
8 Fragen an Wein-Experte Alex Gottschalk
Was fasziniert dich persönlich an alkoholfreiem Wein?
Ich finde die gesamte alkoholfreie Kategorie sehr, sehr spannend. Ich habe durch Wein das Genießen gelernt und in den letzten Jahren immer mehr verstanden, warum Genuss und Qualität nah beieinander liegen. Auch habe ich durch meinen Podcast und meine Arbeit als Berater sehr viel recherchiert und meine Sicht auf Alkohol stark verändert.
Es gibt schon viele Jahrzehnte alkoholfreies Bier und auch alkoholfreien Wein – das Patent dazu ist schon über 100 Jahre alt. Aber in den letzten Jahren hat sich durch Innovation, Aufklärung und die damit verbundene Veränderung im Konsumverhalten sehr viel getan. Eines der ersten alkoholfreien Biere aus den 1970er Jahren war – nach der Erinnerung meines Vaters und anderer Personen aus dieser Generation – faktisch untrinkbar. Gleiches galt Anfang der 2000er auch für alkoholfreien Wein. Heute gibt es in jeder Preis- und Qualitätsstufe geniale Produkte zu entdecken.
Wie wird alkoholfreier Wein hergestellt, und welche Methoden findest du besonders spannend?
Allein die Entstehungsgeschichte der Entalkoholisierung von Wein ist superspannend. Anfang des letzten Jahrhunderts entdeckte Winzer Carl Jung, dass man Alkohol unter Vakuum bereits bei 28° statt den üblichen 78° destillieren kann. Impuls für diesen Erfindergeist war der Rückgang im Alkoholkonsum bei Kundschaft. Er entwickelte eine Art Tank, der unter Vakuum gesetzt wurde und dann mit thermischer Energie dafür sorgte, dass der Alkohol verdunstete.
Dieses Verfahren verändert die Struktur und den Geschmack des ursprünglichen Produktes stark, und mit dem Alkohol gehen auch flüchtige Aromen verloren. Aber auf Basis dieser Vakuumdestillation sind einige Optimierungen entstanden – Deutschland ist hier einer der reifsten und erfahrensten Märkte und bei diesen Innovationen weit vorne. Die momentan spannendste ist wohl die sogenannte Aromenrückführung, wo aus dem Destillat die flüchtigen Aromen erneut extrahiert und dem Wein wieder zugeführt werden: Das ist etwas kostenintensiver, hebt allerdings die Qualität des finalen Produkts.
Welche Trends siehst du insgesamt im Bereich alkoholfreier Produkte?
Neben der angesprochenen Aromenrückführung beim Wein gibt es noch andere spannende Bewegungen. Zum einen sind da die sogenannten Proxies, die hochwertigen Ersatz für alkoholische Getränke liefern, insbesondere im Food-Paring. Wir reden hier beispielsweise von Sparkling Tea, Kombucha oder hochwertigen Säften. Auch funktionale Drinks gehören hierher.
Auch finde ich es sehr schön zu sehen, dass sich immer mehr Weingüter dieser Kategorie öffnen und zumindest hochwertige Säfte, Traubensecco, Verjus oder sogar selbst gemachte Proxies anbieten.
Wie reagieren traditionelle Weinliebhaber auf alkoholfreie Weine?
Es gibt Menschen, die einfach gern Wein trinken, weil es ihnen um das Gesellige geht. Die Menschen stehen im Vordergrund, der Wein begleitet die Situation. Das sind auch öfter aromatische Weine mit etwas Restzucker, preislich nicht im obersten Segment, nicht von extrem hoher Qualität. Für diese Gruppe ist der Zugang zu alkoholfreiem Wein etwas leichter.
Herausfordernd wird es bei den Menschen, die sehr tief in der Weinwelt stecken und sich auch gern bei Verkostungen oder Weinabenden mit dem Wein als Produkt auseinandersetzen. Hier ist es sehr schwer, die Erwartungshaltung zu bedienen, weil durch die Entalkoholisierung einfach extrem viel Charakter verloren geht. Diese Gruppe zeigt sich allerdings sehr offen für die Proxies oder auch für Premium-alkoholfreie Produkte. Die können den Anspruch an Qualität, Genuss und vor allem Food Pairing bedienen.
Ich habe allerdings auch schon erlebt, dass sich manche Menschen angegriffen fühlen, wenn man alkoholfreie Produkte als Alternative anbietet. Auch Beschimpfungen waren schon dabei. Du brauchst als Sommelier oder auch als Hersteller oft ein dickeres Fell im alkoholfreien Bereich. Aber ich mag das. In meinen Augen ist es wichtig, nicht dogmatisch zu sein, sondern die alkoholfreie Kategorie als zusätzliches Angebot zu verstehen – für eine neue oder auch bestehende Zielgruppe.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit deiner Meinung nach bei alkoholfreien Weinen?
Wenn wir über Produkte reden, denen der ursprünglich enthaltene Alkohol mit physikalischen oder chemischen Verfahren entzogen wird, ist es mit der Nachhaltigkeit natürlich schwierig. Der Energiebedarf für den Entzug vom Alkohol ist hoch und ab bestimmten Alkoholgehalten in meinen Augen nicht mehr vertretbar. Dazu kommt, dass nur wenige Unternehmen die Entalkoholisierung fremder Weine als Dienstleistung anbieten. Also schicken viele Weingüter ihre Produkte durch die halbe Welt und zurück, um ihnen den Alkohol entziehen zu lassen. Ist das in puncto Nachhaltigkeit sinnvoll? Definitiv nicht. Brauchen wir diese Kategorie und sollten sukzessive über nachhaltigere Alternativen oder gar die Produktion alkoholfreier Varianten direkt im Weingut nachdenken? Definitiv!
Was können die Teilnehmer von deinem neuen Seminar „Alkoholfreie Weinprobe“ bei Miomente erwarten?
Die alkoholfreie Weinprobe fokussiert auf den Premiumbereich. Es geht darum, Produkte zu zeigen, die Charakter und Qualität haben und an der ein oder anderen Stelle sogar regionales und nachhaltiges Denken verfolgen. Es sind nicht nur Weine inkludiert, sondern auch Proxies und alkoholfreie Destillate. Es geht darum, die ganze Bandbreite kennenzulernen: Dass dieses Zeug definitiv besser schmeckt als simpler Traubensaft und dass Foodpairing genauso möglich ist wie der pure Genuss im sozialen Umfeld.
Welche alkoholfreien Weine empfiehlst du Einsteigern?
Ich würde definitiv den Fokus auf Schaumweine und Weißweine legen. Das sind die Produkte, die heute am weitesten entwickelt sind und wo die Erwartungshaltung der Kundschaft besser erfüllt werden kann. Bei Rosé wird es schon schwieriger, und bei Rotwein ist es besonders schwer, weil die Veränderung im Vergleich zum Originalprodukt einfach zu groß ist. Diese Kategorie kann trotzdem spannend für Leute sein, die nicht auf schwere alkoholische Rotweine stehen und einen Ersatz dafür suchen. Also vielleicht Fans von leichten Rotweinen wie Pinot Noir oder Leute, die sonst vielleicht gar keinen Rotwein trinken. Auch die Proxies sind wirklich eine spannende Welt zum Ausprobieren!
Wie siehst du die Zukunft des alkoholfreien Weins in der Weinbranche?
Der klare Trend ist, dass der Konsum von Wein rückläufig ist und das Interesse an alkoholfreien Alternativen steigt. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Jahren in der Gesellschaft mehr Verständnis für die alkoholfreie Kategorie haben werden (und auch brauchen). Man merkt, dass selbst Weingüter das bereits verstehen. Ich freue mich darauf, wenn der Großteil der Weingüter mindestens zwei oder drei alkoholfreie Produkte im Angebot hat. Das Gleiche gilt für Restaurants und Hotels mit Weinkarten oder Menüs mit Weinbegleitung.















